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Blog

Über Krankenkassen, die den Unterschied machen

LESEZEIT 3 MINUTEN

9 Mai 2022

Der Markt der gesetzlichen Krankenversicherungen ist hart umkämpft und zugleich stark reguliert. Da stellt sich die Frage: Wie können Krankenkassen über die Kostenübernahme hinaus echten Mehrwert schaffen und sich von der Konkurrenz abheben? Wir glauben: Krankenkassen müssen ihren Mitgliedern neu begegnen und lernen, sie als vielschichtige Menschen zu betrachten.

Bei welcher Krankenkasse sind Sie versichert? Bei der blauen, der orangen, der grünen oder doch der dunkelgrünen? Wo das Spektrum der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) Vielfalt suggeriert, sind in Wahrheit oftmals nur wenige Differenzierungspunkte zu finden. Was von den gesetzlichen Krankenkassen finanziell getragen wird, ist weitestgehend – nun ja – gesetzlich festgelegt. Der Spielraum einer GKV bewegt sich in diesem Kontext zwischen Zusatzbeiträgen und teilweise undurchsichtigen Zusatzleistungen.

Customer Experience als Schlüssel zum Erfolg

In welchen Bereichen kann sich der Anbieter einer gesetzlichen Krankenversicherung also auszeichnen und von der Konkurrenz abheben? Welches Werteversprechen unterbreitet die GKV, wenn ein Großteil des Leistungsspektrums ohnehin mandatiert ist? Worin sich die Krankenkassen voneinander unterscheiden, ist, wie sie sowohl mit ihren potenziellen Neu- als auch mit ihren Bestandskundinnen und -kunden in den Austausch treten. Wie passend knüpft die Interaktion im Marketing an die aktuelle Lebenssituation des einzelnen Mitglieds an, wie zielführend ist sie im Vertrieb, wie angenehm und lösungsorientiert ist die Interaktion im Service? Kurz: Wie gut ist die Customer Experience, und wofür steht die Marke?

In erster Linie gilt es, die Probleme der Mitglieder zu lösen, ihnen Antworten auf ihre Fragen zu geben und sie bei der Finanzierung notwendiger Behandlungen zu unterstützen. Das sind die Mindesterwartungen. Noch besser ist es aber, als Provider von Gesundheitsdienstleistungen die Bedürfnisse der Kunden zu erkennen, bevor sie diese selbst entdecken, und sie so mit einer erstklassigen Experience zu begeistern. Hierin liegt nicht nur der Unterschied zwischen „gut“ und „begeisternd“, sondern die Möglichkeit, Menschen mit positiven Erlebnissen langfristig zu binden.

Diese überzeugenden Markenerlebnisse sind im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen bislang Rarität. In anderen Branchen sind wir bereits Besseres gewohnt. Wenn wir unseren Horizont nur etwas weiten und über den Kreis der unmittelbaren GKV-Konkurrenz hinausblicken, sehen wir:

Steuer-Apps wie Taxfix oder Online-Broker wie Trade Republic schaffen es, so reibungslose Experiences zu bieten, dass sich auch Laien zutrauen, komplexere Finanzbelange in die eigene Hand zu nehmen. Ja, die Nutzung dieser Angebote macht geradezu Spaß! Digitale Versicherungsmanager wie Clark oder Vergleichsportale wie Check24 sind so weit, dass sie in wenigen Augenblicken die perfekt auf das Individuum zugeschnittene Versicherungspolice finden und perspektivisch sogar einen Teil des Geschäftes der Versicherungen selbst abgraben. An diesen Plattformen müssen sich die gesetzlichen Krankenkassen messen, denn diese Experiences setzen die Messlatte und werden zunehmend zum Anspruch der Nutzerinnen und Nutzer auch in anderen Lebensbereichen. 

Life-centric statt One size fits all

Eines ist klar: Um zu überzeugen, reicht es nicht mehr aus, Formulare zu digitalisieren.  Selbstverständlich bleibt die Digitalisierung von Standardprozessen nach wie vor ein entscheidender Bestandteil einer modernen Customer Experience. Zugleich bietet Digitalisierung auch die Möglichkeit, anders an Neu- und Bestandskundinnen und -kunden heranzutreten als bisher, sie nämlich ganz individuell als vielschichtige Menschen mit einem umfangreichen Komplex aus Motivationen, Beziehungen und Problemen wahrzunehmen.

„One size fits all“ zieht nicht mehr. Die Entscheidungen für oder gegen einen Anbieter, für oder gegen ein Produkt, für oder gegen einen Service sind kontextbasiert. Anders als die lineare Customer Journey von User Personas – also fiktiven Anwender-Typen – ist das Bedürfnisprofil eines vollständigen, im Leben stehenden Menschen schwer zu fassen, zuweilen sind das Verhalten und die Entscheidungen auf den ersten Blick widersprüchlich. Diese sich stetig wandelnden individuellen Bedürfnisse zu erfassen und den Menschen über sein Verhalten als Kunde hinaus zu verstehen führt aber zu besseren Experiences und länger anhaltenden Kundenbeziehungen.

Umso wichtiger ist es, den Kundinnen und Kunden auf Augenhöhe an den ohnehin von ihnen genutzten Touchpoints zu begegnen und sie passgenau im aktuellen Kontext ihrer Lebenswelt abzuholen. Stichwort: Life-Centric. Ein solches Vorgehen baut die Hürden für eine erfolgreiche Interaktion ab. Erfolgreich ist diese Interaktion nämlich nicht nur dann, wenn eine Person aktiv eine Lösung für ein Problem sucht und sich an die Krankenkasse wendet. Erfolgreich sind auch Interaktionen, die zu Lösungen für Probleme führen, die sich im Bewusstsein der Person noch nicht manifestiert haben. Wird eine Lösung trotz des ursprünglich fehlenden Bewusstseins für das Problem zum Teil der Lebenswelt, so ist es eine überzeugende Customer Experience. 

Drei Experience-Prinzipien

Wir haben drei Grundprinzipien abgeleitet, die für eine in der Lebenswelt der Menschen eingebettete moderne Customer Experience entscheidend sind:

1. Der Vertrieb ist digital

Die Digitalisierung hat die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer an den Zugang sowie die Verfügbarkeit von Services und Beratung verändert. Ein umfassender Self-Service, der es ermöglicht, jederzeit einfache Anliegen zu klären, gehört zu den Mindestanforderungen. Eine Plattform, über die Partnerangebote und zusätzliche Services genutzt werden können, verbessert die Experience. Andersherum sollte der Sprung von den ohnehin genutzten Dritt-Plattformen zu den Services der GKV schwellenlos dort ermöglicht werden, wo es inhaltlich Sinn ergibt und wo sich das logisch ergebende nächste Bedürfnis befriedigen lässt.

Da Nutzerdaten und ihre Analyse wertvolle Einblicke für Vertrieb, Service und Marketing bieten, ist die Implementierung einer solchen Plattform bloß der Startschuss für ein sich stetig weiterentwickelndes und iterativ optimierendes Ökosystem. Das gilt auch für das Zusammenspiel des digitalen Vertriebs mit einem stationären und persönlichen. Gewonnene Erkenntnisse sollten auch für den etablierten Bereich zielgerichtet genutzt werden, um die persönliche Erfahrung mit der Krankenkasse zu verbessern.

2. Marketing ist kein Selbstzweck

Gutes Marketing sorgt für Relevanz, denn es macht eine Krankenkasse mit all ihren Werten für die Mitglieder greifbar. Relevanz entsteht dann, wenn Nutzerinnen und Nutzer sich als Menschen mit ihren ganz persönlichen Sorgen, Bedürfnissen und Herausforderungen gesehen fühlen. Damit unterstützt das Marketing auch den Vertrieb und den Service. Um diese Relevanz mit passgenauem Content (personalisiert und effizient ausgespielt) zu unterfüttern und im Gleichklang mit Vertrieb und Service zu spielen, ist die nahtlose Integration von Marketing-Aktivitäten in das digitale Vertriebsökosystem und die Service-Anwendungen notwendig. Dieses Zusammenspiel schafft Wechselmomente für Neukunden und steigert nachhaltig die Loyalität.

3. Die Customer Experience hört nicht an Abteilungsgrenzen auf

Es kommt also darauf an, Vertrieb, Marketing und Services als eine zusammenhängende Customer Experience betrachten. Das erfordert auch, die interne, historisch gewachsene Organisationsstruktur zu reflektieren und die Grenzen von Zuständigkeitsbereichen zu überwinden. Denn für die Kundschaft existieren diese Silos nicht. Wenn sie durch das Marketing von einer passgenauen Lösung für ihre jeweilige Lebenssituation erfährt, sich dann an den Vertrieb wendet und schließlich den Service nutzt, erwartet sie eine nahtlose Experience. Diese Schritte fließen in einem umfassenden Ökosystem schwellenfrei ineinander und ergänzen sich gegenseitig. Es hilft, gemeinsame KPIs, Schlüsselkennzahlen, zu definieren, damit alle an einem Strang ziehen und dafür sorgen, dass die Customer Journey erfolgreich fortgesetzt wird, auch wenn der Kunde den eigenen Zuständigkeitsbereich verlässt.

Neue Sichtweise dank neuer Organisation

Insbesondere das letzte Prinzip verlangt nach einer Aktualisierung der Organisationsstruktur. Doch auch die ersten beiden Prinzipien werden erfolgreicher umgesetzt, wenn die Teams hinter den Kulissen enger verzahnt und im Sinne einer kompetenzbasierten Zusammenarbeit cross-funktional zusammengesetzt werden:

 Marketing, Vertrieb, Service
 Marketing, Vertrieb, Service

Die Übergänge von einem Zuständigkeitsbereich zum anderen sind fließend; das Organisationsmodell sollte das widerspiegeln. Sei es durch cross-funktionale Teams, interdisziplinäre Meeting-Formate, zusätzliche Positionen an den Schnittstellen oder gar eine organisierende Instanz, die die Customer Journey im Ganzen überblickt.   

Diese Blickweise ist der Grundstein für eine überzeugende Customer Experience und macht den Unterschied aus – insbesondere im Wettbewerb der gesetzlichen Krankenversicherungen. Schaffen Sie bereits eine nahtlose Experience zwischen Marketing, Vertrieb und Service in Ihrer Krankenversicherung? Berichten Sie uns gern von Hürden und Erfolgen, wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen.

WRITTEN BY

Dr. Bernd Peper

Executive Principal Strategy – Accenture Song